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IMPULSLETTER #26 • August 2024

Wir sehen nicht, was wir sehen. Wir sehen, was wir sind.

Was sehe ich, wenn ich mich vor den Spiegel stelle? Klar, ich sehe mich. Ich sehe mein Gesicht, meine Haare, meinen Ausdruck. Und unter Umständen kommt in diesem Moment ein eher kritisches oder freudvolles Gefühl auf, ob denn auch alles so aussieht, wie wir uns das gerne wünschen. Wenn wir jedoch den Blick vom Äusseren und Optischen wegnehmen, stellen sich noch ganz andere Fragen: Wer steht denn da genau vor dem Spiegel? Was ist das für eine Person? Sehe ich mich so, wie ich bin, oder gibt es gar mehrere Spiegelbilder von mir selbst?

Mehr als zehn Minuten ins Spiegelbild schauen

Vor Jahren wurde uns Teilnehmenden in einem Seminar ein Handspiegel ausgeteilt. Die Aufgabe bestand darin, zehn Minuten lang schweigend sein Spiegelbild anzuschauen. Dabei galt es zu beobachten, welche Gedanken und Gefühle aufkommen. Zu Beginn empfand ich diese Übung als seltsam und unangenehm. Mit der Zeit jedoch änderte sich meine Wahrnehmung und ich sah mit gewisser Neugier in den Spiegel und war «gwundrig», wer mich denn da anschaute. Welche Stärken und Kompetenzen, welche Ängste und Zweifel, welche Erfahrungen und Erlebnisse, welche Differenzen zwischen Ist- und Idealbild blickten mir vom Spiegel aus entgegen?

Ich präge mein eigenes Spiegelbild …

Im Verlaufe des Seminars wurde mir immer klarer: Das, was ich im Spiegel sehe, basiert auf meinen Annahmen, Glaubenssätzen, Werten, Erfahrungen und Einstellungen. Ich präge quasi mein eigenes Sehen, meine eigene Sichtweise oder mein eigenes Spiegelbild. Und so sehe ich schlussendlich auch auf mein Umfeld und die Welt um mich herum. Entsprechend legt sich jede Person ihre Wirklichkeit anders zurecht. Lassen Sie mich diesen Kontext anhand einiger Beispiele vertiefen und veranschaulichen:

Wenn Sie vier Geschwister …
… im Erwachsenenalter getrennt voneinander befragen, wie sie das familiäre Weihnachtsfest in ihrer Kindheit persönlich erlebt haben, dann werden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit vier verschiedene Erzählungen erhalten, die nicht selten die Frage aufkommen lassen, ob die vier Geschwister auch wirklich an der gleichen Familien-Weihnacht teilgenommen haben. Vier Personen, vier Sichtweisen, ein Weihnachtsfest. Wer hat recht? Was stimmt nun? Das Beispiel zeigt, warum es in vielen Situationen schnell auch zu Konflikten kommen kann und ggf. Mediationen notwendig werden.

Verschiedene, oft unerwartete Sichtweisen …
… zeigen sich auch in Teamcoachings: Wenn ich Teammitglieder auffordere, sich gegenseitig authentisch und ehrlich mitzuteilen, was sie aneinander schätzen, sind manche Teilnehmenden immer wieder komplett überrascht, was sie an konstruktiven, positiven Beiträgen erhalten. Gemäss dem Motto: «Das hätte ich nie erwartet, dass ich so wirke und du diesen Aspekt an mir siehst und schätzt». So eröffnen andere Spiegelbilder die Möglichkeit, mein eigenes zu erweitern oder zu verändern.

Ein Freund erzählte mir kürzlich …
… dass er in einem Bewerbungsgespräch eine Lohnforderung nannte, die er als sehr hoch empfand. Er bezeichnete sie sogar als ziemlich frech und ein bisschen vorlaut. Als ich jedoch die Summe hörte und seine Qualifikationen dem Lohn gegenüberstellte, erwiderte ich, dass diese Forderung aus meiner Perspektive realistisch sei und seinen Fähigkeiten entspreche. Im Verlauf usneres Gesprächs wurde ihm bewusst, dass er sich oft beruflich unterschätzt. Durch diese «Spiegelung» setzte er für sich eine neue Intension: «Ich will meinen Wert mehr schätzen.» Es hat in ihm etwas bewegt, und er hat eine neue Sichtweise auf sich selbst entwickelt.


Objektive Wirklichkeit oder subjektives Spiegelbild

Ferrando Pessoa, portugiesischer Dichter und Autor, beschreibt dieses Phänomen ganz kurz und bündig: Was wir sehen, ist nicht das, was wir sehen, sondern das, was wir sind. Wir sehen uns aus unseren Überzeugungen, Erfahrungen und Einstellungen heraus im Spiegel. Wir sehen uns aus dem heraus, was wir sind. Und wir sehen aktuell immer nur das.

Auch der US-Popstar Michael Jackson beschreibt das sehr schön in seinem Song «Man in the Miror»:

Ich werde mit dem Mann im Spiegel beginnen,
ihn darum zu bitten, seine Ansichten zu ändern.

Und keine Botschaft könnte klarer sein.
Wenn du die Welt zu einem besseren Ort machen willst,
betrachte dich selbst und ändere etwas.

Du musst das Richtige tun,
solange du noch Zeit dafür hast. 
Denn, wenn du dein Herz verschliesst,dann verschliesst du deinen Verstand.

...und darum werde ich diesen Mann dort auffordern, sich zu ändern, und zwar hier und jetzt.


Das alles bedeutet: Ich kann mich nur anders sehen, wenn ich mich innerlich verändere. Wenn ich meine innere Haltung, meine Überzeugung, mein Wertesystem ändere, sehe ich auch ein anderes Spiegelbild – und mein Blick auf mein Umfeld verändert sich.

Doch wie schaffe ich eine solche Veränderung?

Dass es nicht einfach fällt, uns innerlich zu verändern, beschrieb bereits Albert Einstein mit dem Ausspruch: «Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.» 

Also, wie gehe ich diesbezüglich am besten vor? Der erste Schritt in Richtung Veränderung ist auf jeden Fall die eigene Einsicht, das Erkennen. Darüber hinaus können folgende Schritte unterstützend beim Verändern meines Spiegelbildes wirken:

  • Benennen Sie die Ansicht, Haltung, Einstellung oder den Glaubenssatz, den Sie verändern möchten?

  • Was möchten Sie anstelle davon? Was ist genau ihr Wunsch? Ihr Ziel?

  • Visualisieren Sie diesen neuen Aspekt und denken Sie dabei aus der Situation heraus, die Sie sich zukünftig erschaffen wollen.

  • Stellen Sie sich anschliessend vor den Spiegel, schliessen Sie die Augen und tauchen Sie ganz in dieses neue «Bild Ihres Selbst» ein. Atmen Sie bewusst ein und aus. Öffnen Sie anschliessend wieder die Augen und schauen sich im Spiegel an. Nehmen Sie dabei Ihre Körperhaltung, Gedanken und Gefühle wahr. Wie empfinden Sie jetzt den Blick auf den Menschen, den Sie im Spiegel sehen?

 

Ich bin gespannt, ob und wie sich Ihre persönlichen Spiegelbilder entwickeln und wünsche Ihnen noch wohlige und wärmende Spätsommerwochen.

«Wer an den Spiegel tritt,
um sich zu ändern,
der hat sich bereits geändert.»


Lucius Seneca,
römischer Philosoph

ALLGEMEINE HINWEISE

In unregelmässigen Abständen informiere ich mit diesem Impulsletter über nützliche Entdeckungen, spannende Erfahrungen und lösungsfokussierte Inputs.
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